Was bei allem Ärger in Braunschweig und abseits jedweder Schuldzuweisungen ins Auge sticht, ist das Fehlen an Kontinuität, an Verantwortung und – so unglaublich es klingen mag – an Erfahrung. Denn es ist genau diese Erfahrung, die man in Braunschweig voraussetzen sollte. Niemand musste hier Sportvermarktung oder das Personalrecruiting neu erfinden; vielmehr fragt man sich, ob das vorhandene Wissenspotenzial bei Ehrenamtlichen, Assistent-Coaches und Team nicht abgerufen wird oder von dort aus falsche Impulse (ge)kommen (sind); sprich: Ein positiver Lern- und Entwicklungsprozess setzt voraus, dass man aus seinen Erfahrungen Lehren und Konsequenzen zieht, sonst wird die gesamte Angelegenheit ein finanzielles und emotionales Fass ohne Boden.
Den Verantwortlichen muss auch unbedingt klar sein, dass man stets gut beraten ist, auch stark negativen Stimmen Gewicht zu geben; zumindest diese als Indikatoren in zukünftige Überlegungen mit einzuschließen. Derjenige, der Erfahrung hat, muss auch wissen, dass sich leider allzu oft mit dem Kauf einer (Dauer)-Karte das gleichzeitige Recht einstellt, massive Kritik am „Emittenten“ üben zu dürfen. Das diese Kritik häufig nicht sehr konstruktiv ist, liegt in der emotionalen Natur der Sache „Sport“; meist ist jedoch ein wahrer Kern enthalten, der umgangssprachlich dann entsprechend in Richtung Provokation oder Eskalation weist. Der alte und erfahrene Hase liest oder hört es und zieht ggf. seine Konsequenzen, aber nie beteiligt er sich schriftlich daran oder kommentiert irgendwelchen Unsinn. Ferner führen Maulverbote, geschlossene Gruppen und Gleichmacherei im schlimmsten Fall dazu, dass man sein eigenes Handeln nicht mehr kritisch reflektieren kann und der Moment, wo ich nur noch „Ja-Sagern“ und „Pseudo-Freunden“ das Feld überlasse, ist auch gleichzeitig der Moment, an dem die wenigsten Leute bereit sind, Geld für ein Ticket zu zahlen. Der entsprechende Buchungssatz würde dann „Ruhe“ an „Kasse“ lauten

. Die Leute, die sich dann nicht mehr zu Wort melden (dürfen), meiden meist auch die Stadien. Es ist mitunter peinlich zu lesen, dass dazu aufgefordert werden muss, beim nächsten, übernächsten und überübern… Mal hinter dem Team zu stehen, also etwa wie „bitte nicht vergessen, nach dem Toilettengang den Hintern abzuputzen“ – OGott! Leute, weniger darüber sprechen und schreiben – MACHEN!
Aber auch Schuldzuweisungen sind nicht nur negativ zu beurteilen. Sie haben gleichsam einen positiven Aspekt, denn sie zielen auf den Faktor, der eine Veränderung der Situation bewirken könnte. Belässt man allerdings alles so, wie es ist oder lässt sich kein Verantwortlicher finden, so kann zwar immer noch eine Verbesserung der Situation eintreten, diese entspringt dann allerdings keiner größeren Erkenntnis oder Strategieänderung, sondern sie bemüht nur das Glück oder General Zufall. Soll heißen: EIER ZEIGEN, VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN UND DAS GLÜCK AUCH EINMAL ZWINGEN!
Wer sich im Erfolg sonnen kann, der sollte auch im Wind stehen können. Es kann nicht angehen, dass sich ein nicht unerheblicher Anteil von „ehemaligen … (Funktion beliebig erweiterbar)“ auf vermeintlich gute alte Zeiten beruft, da sie selbst eher Nutznießer eines breiten und starken Kaders waren und höchst selten eine Leaderrolle auf dem oder außerhalb des Feldes übernehmen mussten. Das ganze Traditionsgequatsche kann man sich gestrost sparen, denn die Lösungen der Vergangenheit passen nicht mehr auf die Probleme der Gegenwart und der Zukunft; und wer schon damals ein Mitläufer war, sein Wohl im Vordergrund und den eigenen Hintern in Deckung gesehen hat, den kann man heute erst recht nicht gebrauchen. Alle Privilegien und andere Vorzüge sich doch über Jahre gewährt worden, es sollte dann doch irgendwann einmal reichen, ohne dass die Leute Pseudojobs ohne Leistungsspektrum umgehängt bekommen, auf dass der VIP-Zugang für Kind & Kegel gesichert ist. Glücklicherweise gibt es sie aber wirklich noch: die reinen Ehrenamtlichen, ohne die das ganze Konstrukt – und nicht nur dieses -nicht existieren könnte und die haben es auch verstanden: Denn gleich, ob man für seine Tätigkeit entlohnt wird oder nicht, sollte die Qualität und die Leidenschaft der abgelieferten Arbeit keinen Unterschied machen. Menschen verlassen sich auf Menschen und niemand hier wird zu seiner Tätigkeit gezwungen; erzählt mal euren Freunden, dass ihr Hund oder ihr Kind, auf das ihr aufpassen wolltet, nicht mehr da ist, aber alles nicht so schlimm sein kann, weil ihr ja auch keine Kohle dafür gefordert habt. Das Beispiel passt auch mit unentgeltlich versprochener Garten- und Blumenpflege im Urlaub vom lieben Nachbarn. Soll heißen: VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN, EGAL OB MAMMON ODER SACHLEISTUNG WINKEN – ES FEHLEN „ECHTE“ VORBILDER UND FÜHRUNGSPERSÖNLICHKEITEN! Was nicht heißen soll, dass es nicht irgendjemanden gibt – Bollo war z.B. schon immer anders: Besser, bescheidener, verbindlicher, fleißiger, verantwortungsvoller …
Am Kopf beginnend, heißt das, einfach einmal der Realität ins Auge zu sehen: Setzt man die kommunizierten 700k Etat in Relation zu dem bisher Erreichten, muss man sich sicherlich eingestehen, bisher die falschen Prioritäten in der Budgetierung gesetzt (bekommen) zu haben. Andererseits ist eine Interpretation dieser Summe mit Vorsicht zu genießen, denn sie sagt wenig Verlässliches über den essentiellen Cashanteil aus. Wenn man bei Vollsachkompensationsrechnungen bilateral die Messlatte der jeweils erbrachten Leistungen immer höchstmöglich platziert, so erreicht man eben einen entsprechenden Spielraum. Egal - Ich plaudere sicherlich keine Geheimnisse aus, wenn ich behaupte, dass das NY-Werksteam demnach über einen höheren Etat verfügt, als die Braunschweig LIONS ihren letzten Meisterschaftsjahren 2007 und 2008! Glaubt man dem Onlineshop von Eventim, so sind wohl keine 700 durch das Publikum bezahlte Dauerkarten über den Tisch gegangen. Bei dieser Größenordnung und der diesjährigen Fußball-EM sowie der niedersächsischen Ferienkonstellation während der Heimspiele kommen vielleicht noch 500 Zahlende pro Spiel dazu. Ich mach es kurz: Umsatz durch Kartenverkäufe < 100k. Was weniger erschreckt als die Frage nach den/m Zahlenden für die restlichen 600k – andere Umsatzquellen wie Schank, sonstiger Gastro und Merchandise sind bei den geringen Zahlen ohnehin marginal –, ist eben der kaufmännische Realitätsverlust. Will sagen: Ich habe zwar gelesen, mit welchen sportlichen Zielen geplant wurde, aber ich weiß wirklich nicht, mit welchen ambitionierten Zahlen man den „ungeliebten und unwichtigen Rest“ besetzt hat, doch lässt dies tief blicken. Wie es allem Anschein nach aussieht, wird man am Ende bei max. 2.000 Realo-Zuschauern im Freikartenpogomodus im Schnitt landen und irgendjemand wird die Differenz schon zahlen oder auch vielleicht nicht, weil alle die Faxen davon dick haben, dass nicht wenigstens einmal Klartext über die tatsächliche Situation geredet wurde. Ich schreibe das nur, damit im Nachgang niemand sagt, er hätte es nicht besser gewusst, denn im Chaos von 2011 hat man ja vermeintlich auch lieber so lange gewartet, bis es keine Option und keine Verantwortlichen mehr gab; das ist aber ein ganz anderes Thema.
Was jedoch die sportliche Leistungsfähigkeit des Teams betrifft, so ist sicherlich nicht alles so schlecht, wie es gemacht wird und einmal ganz ehrlich: Um wirklich abzusteigen, muss man den Rest der GFL1-Spiele verlieren, die Gesamtrelegation verlieren, alle dann in der GFL1 verbliebenen Teams müssen auch eine Lizenz für 2013 beantragen und alle Aufsteiger aus der GFL2 müssen auch aufsteigen wollen. Im Zweifel wird die GFL-Nord durch Knopfdruck auf den InsiderII-Button auf 9 Mannschaften aufgestockt und dann passt es doch wieder. Die Wahrheit ist, dass Braunschweig im Norden bis auf Kiel jedes Team schlagen kann, wenn man immer seine beste Leistung bringt und auch nur das spielt, was man wirklich kann; das muss dann bitte aber auch zu 100% sitzen. Ohne Wenn und Aber müssen jetzt einmal die Spiele gegen Hamburg und Lübeck gewonnen werden, da gibt es keine zwei Meinungen. Bei den verbleibenden 7 Spielen gegen die Adler, die Rebels, DD und DÜ stehen die Chancen jeweils 30:70, was statistisch zu zwei weiteren Siegen führen könnte. Selbst dann könnte bereits - bei einer optimalen Ergebniskonstellation der übrigen Spiele – ein Play-Off-Spiel erreicht werden, wenn dies dann alle Beteiligte dem Seelenheil ein Stück näher bringen sollte. Allerdings muss man auch berücksichtigen, dass bei einem frühzeitigen Tabellenstand im Niemandslandkorridor der Plätze 5 bis 7 einem erneuten wirtschaftlichen Rückschritt – auch bereits für 2013 – Vorschub geleistet wird.
Im Fazit ist ganz klar zu beklagen, dass im deutschen Milton Keynes des AF keinerlei Kurs oder Linie zu erkennen ist, vielmehr wird hilflos Aktionismus betrieben, um ein Phantomgebilde aufrecht zu erhalten, bei dem man nicht erkennen kann, ob man sich auf die noch nicht vorhandene, aber ersehnte und oft zitierte, Tradition beruft oder ob man dem pseudoinnovativen „Alles-wird-besser“-Plattitüden Leben einhaucht. Diejenigen, die ohnehin bereits seit vielen Jahren Fans sind, muss man nun wirklich nicht mehr überzeugen. Man muss aber versuchen den Exodus der übrigen Zuschauer zu stoppen und das passiert nicht durch Worte und Durchhalteparolen, das passiert durch Taten. Wenn ich als Beispiel feststelle, dass es bei einem vermeintlich ordentlich zusammengestellten Team sportlich doch nicht reicht, und ich zusätzlich den Aspekt der zusätzlichen finanziellen Belastungen durch Trainer in Vollzeitbeschäftigung nahezu ausblenden kann, warum stelle ich nicht frei, dass alle Willigen/Abkömmlichen künftig 3 bis 5x in der Woche trainieren können und man speziell dafür ein entsprechendes Programm anbietet. Es gibt in Praxis und Theorie derart viele Dinge, die man auch abseits vom originären Trainingsplatz in kleinen Gruppen effizient erlernen kann. Wenn ein Team dermaßen neu zusammengesetzt und nicht eingespielt ist, so ist doch bei nur zweimaligem Training in der Woche (3x bei Fußball C-Jugendkreisliga) dies kein Argument für stetigen Misserfolg, wenn noch nicht annähernd einige Optionen ausgeschöpft wurden. Wenn alle an der Verbesserung arbeiten wollen, soll man keine Steine in den Weg legen. Zumindest wird man durch zusätzliche Trainingseinheiten nicht sehr viel schlechter und die Kameradschaft leidet auch nicht über alle Maßen.
Wirtschaftlich hat man es jedoch binnen kürzester Zeit hinbekommen, sich von einem Sponsoren abhängig zu machen, der, wenn ihm etwas nicht passt, durch Kündigung des Engagements den Exitus im Spielbetrieb einläutet, denn durch die fehlende Kontinuität, die Ziellosigkeit und die Misswirtschaft kann sich ein Footballverein in Braunschweig mit durchschnittlich nur noch 1.000 bis 1.300 zahlenden Zuschauern, mit bestehenden hohen sportlichen Ansprüchen und gewachsenen Privilegien nicht mehr allein tragen. Er hat seine Eier verloren und er weiß es auch. Wie sollen also aus seiner Mitte diejenigen kommen, die einmal den Hut aufsetzen und dann sagen, wo es zukünftig lang gehen wird?