Eine Woche kann ein Leben verändern. Dessen sind sich Julius Sidoroff und Samuel Gutekunst bewusst. Eine Woche hartes Training und noch härtere Spiele. Eine Wo-che zeigen, was in ihnen steckt. Eine Woche schuften, knüppeln, prügeln. Wir kämpfen um einen Job. Es ist fast wie ein Bewerbungsgespräch, sagt Sam Gutekunst und grinst. Anzug und Krawatte lässt er lieber zu Hause.
48 freie Plätze
Am 20. Februar werden Sidoroff und Gutekunst in die USA fliegen. In den Sonnenstaat Flori-da. Es ist fast wie Urlaub, grinst Sidoroff, ja, wenn da nicht in Tampa das letzte Tryout für die NFL Europe wäre. Die beiden Offensiv-Line-Spieler des American-Football-Bundesligisten Saarland Hurricanes haben die Chance, einen von 48 freien Plätzen zu kriegen. Und somit Profi zu werden. Profi in einem der sechs Teams des europäischen Ablegers der National Football League.
Ein Traum, ein absoluter Traum, sagt Julius Sidoroff. Ob er oder sein Teamkollege Gutekunst den Sprung schaffen können, vermag er nicht zu sagen: Ich mache mir keine Hoffnungen, ich weiß auch nicht, wie stark die Konkurrenz aus Japan oder Mexiko ist. Ich fahre hin und werde alles geben. Sam Gutekunst sieht das ähnlich aus einem ein-fachen Grund: Ich will hinterher nicht enttäuscht sein.
Sollten die beiden 20-Jährigen keine Profi-Verträge erhalten, sind sie nach einer Woche wieder zu Hause. Julius Sidoroff in Saarlouis. Sam Gutekunst nahe Mannheim. Sollten sie aber tatsächlich ausgewählt werden, geht der wahre Stress für sie erst los. Dann bleiben sie drei weitere Wochen in den USA, werden einem Team zugewiesen und bereiten sich mit den neuen Kollegen auf die im April beginnende Saison vor. Und die dauert gute drei Monate.
Sam Gutekunst blickt kurz ins Leere. Man sieht ihm an, wie er sich in Gedanken seinen Traum erfüllt. Geil, lautet seine erste Reaktion. Auch wenn ich etwas Angst davor habe, weil es ein ganz neues Leben wäre.
Wechsel auf College geplatzt
Ganz unerfahren sind Sidoroff und Gutekunst nicht. Sidoroff war im vergangenen Jahr im Team der Europa- Auswahl bei den Global Junior Championships in San Diego, eine Vorver-anstaltung des Superbowls. Auch die Mühlen der Tryouts, dem Casting nach Football-Talenten, kennt er.
Aber soweit wie dieses Mal habe ich es noch nicht geschafft. Das ist schon was anderes, sagt der in Sibirien geborene Bär. Ursprünglich wollte er dieses Jahr nach dem Abschluss der Schule auf ein amerikanisches College wechseln. Das habe aber nicht geklappt, weil er bereits für die Saarland Hurricanes in der German Football League gespielt hat, und die Regularien einen Wechsel nicht erlauben. So hofft Sidoroff jetzt auf seine Riesenchance.
So wie Sam Gutekunst, der jetzt im dritten Jahr für die Hurricanes spielt. Im vergangenen Jahr war Gutekunst an der Hürde vor dem Tryout in Tampa gescheitert bei einem Trainingscamp in Frankfurt.
Sie haben mich nicht mitgenommen, weil ich zu leicht für meine Position war. Das Wörtchen war betont er genüsslich, auf der Waage bringt er es inzwischen auf gute 110 Kilo stolze zwölf Kilo mehr. Und wenn jetzt sein rechtes Knie noch mitspielt, steht dem Ausflug nach Tampa nichts entgegen.
Am Freitag müssen Sidoroff und Gutekunst zum Leistungstest nach Frankfurt. Sam plagt sich mit klei-nen Meniskus-Einriss herum.
Wenn es nicht besser wird, muss mein Knie operiert werden, sagt er, klingt aber keineswegs beunruhigt. Für seinen Traum will er auf die Zähne beißen. Sorgen macht ihm nur die Sonne. Ein Sonnenbrand unter der Schutzkleidung ist nicht sehr angenehm. Vielleicht sollte ich vor Tampa noch ein, zwei Mal ins Sonnenstudio gehen.
HINTERGRUND
Die NFL Europe, ein Ableger der National Football League (NFL) in den USA, existiert seit 1995. Zum einen soll sie Football in Europa populärer machen, zum anderen Spielern und Talenten, die in den USA nicht zum Zug kommen, eine Entwicklungs-Chance geben.
Erster Gewinner des World Bowls, des Endspiels um die Meisterschaft in der neu gegründeten Liga, waren die Frankfurt Galaxy (26:22 gegen die Amsterdam Admirals). Beide Teams sind heute noch dabei, während ande-re wie die London Monarchs inzwischen ersetzt worden sind. In der im April beginnenden Saison 2005 kommen fünf der sechs Teams aus Deutschland.
Neben den Admirals sind das die Frankfurt Galaxy, Rhein Fire, Berlin Thunder, Cologne Centurions und Liga-Neuling Hamburg Sea Devils. Die Sea Devlis bestreiten ihr erstes Spiel am 2. April bei den Cologne Centurions.